Weibliche Perspektiven sollen stärker in den Entscheidungsprozessen des Strukturwandels sichtbar gemacht werden. Das fordert das Bündnis der Lausitzer Gleichstellungsbeauftragten. Das länderübergreifende Gremium hat dazu ein Positionspapier vorgelegt. Ende Oktober werden die Lausitzerinnen ihr Forderungspapier auch in Brüssel bei der EU-Kommission vorstellen.
Sprecherin des Bündnisses auf der brandenburgischen Seite ist Aline Erdmann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Cottbus/Chóśebuz: „Der Strukturbruch in den 1990er Jahren wirkt noch heute nach. Die Folgen waren und sind u. a. Abwanderung, Alterung sowie eine ganz andere Wirtschaftsstruktur. Damals wurden Geschlechterfragen ignoriert. Dieser Fehler sollte nicht wiederholt werden. Nachdem ich selbst fast zwei Jahrzehnte in einem anderen Bundesland gelebt habe, bin ich gern in meine Heimat, die Lausitz, zurückgekehrt. Und hoffe, dass viele weitere junge Frauen folgen werden, denn die werden hier gebraucht.“
Die Mitinitiatorin des Bündnisses Ines Fabisch: „Die Lausitz muss Frauen den roten Teppich ausrollen, damit sie bleiben, zurückkommen oder sich neu für die Region entscheiden.“
Das Positionspapier vereint sieben zentrale Forderungen, die in den zurückliegenden Jahren aktualisiert worden sind. So heißt es: „Wir setzen uns ein für eine lebenswerte Lausitz für alle. Gemeinsam mit den Frauen in der Lausitz wollen wir die weitgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen nachhaltig und geschlechtersensibel gestalten. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Maßnahmen im Strukturwandelprozess darauf ausgerichtet sind, die Geschlechtergerechtigkeit zu fördern. Eine nachhaltige und zukunftsfähige Region kann nur von, mit und für Frauen und Männern gemeinsam und auf Augenhöhe entwickelt werden.“
Die Kernforderungen:
1. Schaffung einer geschlechtersensiblen Datenbasis - Die Maßnahmen im Strukturwandel müssen regelmäßig nach Geschlecht differenziert analysiert und bewertet werden, damit die Geschlechterperspektive systematisch in der Strukturwandelpraxis verankert wird.
2. Beratung und Qualifizierung von Führungskräften und Personen mit Entscheidungsbefugnis - Geschlechtergerechtigkeit im Strukturwandelprozess lässt sich nur dann umsetzen, wenn diese von allen politischen und fachlichen Führungskräften sowie Entscheidungstragenden gefördert und als Top-Down-Strategie verfolgt wird. Geschlechtersensibilität und -kompetenz sind hierfür wesentliche Voraussetzungen und müssen durch gezielte Fortbildungen gefördert werden.
3. Herstellung von Transparenz sowie einer umfassenden und fortwährenden Beteiligung - Eine umfangreiche Information und Einbeziehung der gesamten Bevölkerung sind Grundvoraussetzungen für Akzeptanz und ein Mittragen der Prozesse, für Engagement und ein aktives Mitgestalten. Hierfür braucht es Formate, die dem Alltag und den Bedarfen von Frauen gerecht werden, damit echte Mitwirkung möglich wird. Dazu zählen ein respektvoller Umgang sowie eine zeitgemäße und familienfreundliche Sitzungskultur.
4. Geschlechtergerechtigkeit in der Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzes - Die gegenwärtige Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzes ist gleichstellungspolitisch unzureichend. Wenn die Perspektiven und Bedarfe von Frauen und Männern im Strukturwandel gleichermaßen Berücksichtigung finden sollen, erfordert dies eine angemessene Vertretung aller Geschlechter in beratungs- und entscheidungsrelevanten Gremien sowie Chancengerechtigkeit im Zugang und bei der Verteilung von Fördermitteln und Maßnahmen.
5. Innovative und existenzsichernde Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Frauen - Der Fokus im Strukturwandel liegt bisher auf industrienahen Themen und strebt vorranging den Ersatz von Arbeitsplätzen an, die überproportional von Männern ausgeübt werden. Häufig befinden sich Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, die geprägt sind von Befristungen, Teilzeitverträgen, geringfügigen Beschäftigungen und Projektfinanzierungen. Um Frauen eine attraktive Bleibeperspektive anzubieten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, braucht es eine Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur und existenzsichernde Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Branchen, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind, müssen strukturell aufgewertet werden. Ohne familienorientierte Organisations- und Arbeitsstrukturen, die unterschiedliche Lebenswirklichkeiten berücksichtigen, kann die Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Leben und Engagement nicht gelingen.
6. Gleichwertigkeit von harten und weichen Standortfaktoren - Es braucht einen Branchenmix, der an Lausitzer Traditionen sowie an der kleinteiligen Wirtschaftsstruktur anknüpft, die Nachhaltigkeit im Energiesektor fördert, und dennoch Experimentierräume schafft sowie Neues zulässt. Denn neben attraktiven Arbeitsplätzen und innovativen Mobilitätskonzepten beeinflussen Lebensqualität, gesellschaftlicher Zusammenhalt, politisches Klima und kulturelle Vielfalt die Entscheidung zum Bleiben, für Rückkehr und Zuzug. So wird Gleichstellung als Säule der Regionalentwicklung wirksam.
7. Schaffung einer Fachstelle für Geschlechtergerechtigkeit in der Lausitz - Für einen kontinuierlichen, geschlechtergerechten Strukturwandelprozess ist es hilfreich, eine zentrale Fachstelle mit Expertise und Netzwerkkompetenz zu etablieren, die die Einhaltung geschlechtergerechter Ansprüche begleitet, integriert und kontrolliert.
Das vollständige Positionspapier kann abgerufen werden am Ende dieser Seite und unter www.cottbus.de/gleichstellung