Föderale Finanzbeziehungen: Städte stärken, Investitionskraft verbessern, strukturschwache Kommunen fördern
Weil die kritische Finanzlage in einer Reihe von Städten anhält, blickt der Deutsche Städtetag mit großen Erwartungen auf die anstehende Reform der föderalen Finanzbeziehungen. Die Investitionskraft der Städte muss gestärkt und dem Anstieg ihrer Sozialausgaben durch eine Entlastung der Kommunen begegnet werden, fordern die Städte. Strukturschwache Städte und ihre Regionen benötigen eine besondere Förderung. Der kommunale Spitzenverband untermauerte dies mit Fakten und Analysen aus seinem heute veröffentlichten Gemeindefinanzbericht 2014 unter dem Titel „Finanzbeziehungen neu regeln, Städte stärken". Zudem legte der Deutsche Städtetag seine Positionen zur „Zukunft der föderalen Finanzbeziehungen" vor.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, sagte: „Die Unterschiede zwischen finanzschwachen und finanzstarken Kommunen werden immer gravierender. Viele Städte ächzen unter hohen Schulden und können ihre Haushalte weiter nicht ausgleichen. Was das bedeutet, ist am Zustand zahlreicher Schulen, Straßen und Sporthallen abzulesen. Der Finanzbedarf in den Städten variiert, doch es gibt eine große Gemeinsamkeit: Alle Städte brauchen gesicherte finanzielle Grundlagen für Investitionen in die kommunale Infrastruktur sowie eine Entlastung der Sozialhaushalte. Alle Städte haben zudem ein Interesse an Hilfen für strukturschwache Städte, weil starke regionale Ungleichheit das Selbstverständnis unserer Gesellschaft berührt." Besorgniserregend sei sowohl der über Jahre aufgewachsene Investitionsrückstand in den Kommunen, den das KfW-Kommunalpanel auf 118 Milliarden Euro beziffert, als auch die Summe der kommunalen Kassenkredite von bundesweit rund 50 Milliarden Euro.
Die Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen zum Jahr 2019 biete die große Chance, die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen besser als bislang zu regeln. „Die Reform der Finanzbeziehungen gelingt dann, wenn sowohl Bund und Länder als auch die Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Zukunftschancen dürfen nicht davon abhängen, in welcher Region Deutschlands jemand lebt. Eine neue Finanzarchitektur muss die Städte so berücksichtigen, dass überall ein angemessenes Angebot an Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist", so Maly: „Denn gerade die Städte müssen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Integration ermöglichen. Zudem müssen sie ihre Rolle als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung wahrnehmen können. Ohne Städte ist kein Staat zu machen."
Vor diesem Hintergrund dürften die Erfahrungen und Bedürfnisse der kommunalen Ebene nicht ignoriert werden. Das Risiko, dass Bund und Länder Kompromisse zulasten Dritter, der Kommunen, schließen, liege auf der Hand. „Die Städte erwarten von Bund und Ländern, dass sie an den Beratungen der Reform beteiligt und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden", betonte Maly. Schließlich sei ihnen im Koalitionsvertrag explizit zugesagt worden, in eine Kommission zu den föderalen Finanzbeziehungen einbezogen zu werden.
Konkret forderte der Städtetagspräsident Bund und Länder auf, deutlich mehr zu tun, um die Investitionsfähigkeit der Städte zu verbessern. In den Verhandlungen über die Zukunft des Solidaritätszuschlages müsse der kommunale Investitionsbedarf besonders beachtet werden. Allein für die Investitionen in die kommunalen Verkehrswege fehlen jährlich mindestens 2,7 Milliarden Euro, eine Lücke, die durch eine nachhaltige Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur geschlossen werden muss. Etwa 60 Prozent der öffentlichen Investitionen sind kommunal. Die Investitionen der Kommunen hängen jedoch stark von ihrer Finanzlage und Region ab. Im Durchschnitt aller Kommunen beliefen sich 2013 die Investitionen auf 278 Euro je Einwohner. In Nordrhein-Westfalen und dem Saarland betrugen sie landesweit betrachtet höchstens 60 Prozent des bundesweiten Durchschnitts. Das Investitionsvolumen der bayrischen Kommunen lag insgesamt mit 472 Euro je Einwohner dreimal so hoch wie in Nordrhein-Westfalen.
„Die kommunalen Haushalte haben sich von Investitions- zu Sozialhaushalten entwickelt. Im nächsten Jahr erwarten die Kommunen bundesweit einen Anstieg ihrer Sozialausgaben auf mehr als 50 Milliarden Euro. Die Investitionen machen nicht einmal die Hälfte davon aus und werden 2015 voraussichtlich nur bei 22 Milliarden Euro liegen. Die Zusage der großen Koalition, die Kommunen um fünf Milliarden Euro pro Jahr bei den Sozialausgaben zu entlasten, muss deshalb dringend umgesetzt werden. Die Kommunen benötigen die Entlastung noch in dieser Legislaturperiode", sagte Maly.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, hob die Bedeutung von Hilfen aus Bund und Ländern für strukturschwache Städte und Regionen hervor, da viele strukturschwache Städte in einem sich selbstverstärkenden Teufelskreis von schlechter Wirtschaftslage, schwieriger Sozialstruktur, hohen Sozialausgaben, niedrigen Einnahmen sowie abnehmender Standortattraktivität und verfallender Infrastruktur stecken: „Die schwierige Situation strukturschwacher Städte ist nicht mehr hinnehmbar. Der Bund muss neben den für die Finanzausstattung der Kommunen hauptsächlich verantwortlichen Ländern zugunsten der strukturschwachen Kommunen handeln. Denn der Verlust der finanziellen Handlungsspielräume bei diesen Städten gefährdet ihr Recht auf Selbstbestimmung. Die kommunale Selbstverwaltung aber ist im Grundgesetz garantiert."
Bund und Länder müssten den betroffenen Kommunen so viel Luft verschaffen, dass diese wieder stärker Anschluss an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung finden können. Da viele notleidende Kommunen in Ländern liegen, deren Verschuldung selbst sehr kritisch ist, lassen sich diese Fragen am besten in Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen lösen, so Articus: „Es liegt im Interesse aller, für diese Regionen passgenaue Hilfen vorzusehen – über die Entschuldungshilfen, die von den Ländern bereits geleistet werden, hinaus. Wenn der Solidarpakt II 2019 ausläuft, muss nahtlos eine Förderung strukturschwacher Städte und ihrer Regionen greifen. Hilfen sollten dann für strukturschwache Regionen unabhängig davon bereitgestellt werden, ob sie im Osten oder im Westen Deutschlands liegen."
Nicht nur ein Problem der strukturschwachen Städte stelle die Verschuldung dar. Deshalb sei es richtig, dass in den Beratungen zu den föderalen Finanzbeziehungen auch nach Lösungen für Altschulden gesucht wird. „Der Abbau der kommunalen Altschulden ist unbedingt in angemessener Höhe einzubeziehen. Denn die Kassenkredite für Altdefizite und laufende Ausgaben sind eine schwere Hypothek für viele Kommunen, genauso wie die Kredite für sanierungsbedürftige Brücken und andere Infrastruktur", sagte Articus. Die Schulden in den kommunalen Kernhaushalten liegen bei rund 130 Milliarden Euro.
Zahlen und Erläuterungen zur kommunalen Finanzlage aus dem Gemeindefinanzbericht des Deutschen Städtetages 2014:
- Die Aussichten für die Kommunalfinanzen haben sich gegenüber bisherigen Erwartungen verschlechtert, vor allem durch einen stärkeren Anstieg der Sozialausgaben. Für 2014 rechnet die Prognose der kommunalen Spitzenverbände mit einem positiven Finanzierungssaldo von 1,4 Milliarden Euro für die Gesamtheit der kommunalen Kernhaushalte – nach einem Saldo von 1,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Für die Jahre 2015 bis 2017 wird ein Überschuss von durchschnittlich 1,5 Milliarden Euro angenommen, dabei ist die Soforthilfe des Bundes von jeweils 1 Milliarde Euro bereits berücksichtigt. Der Beirat des Stabilitätsrates empfiehlt „nennenswerte" Überschüsse. Die prognostizierten durchschnittlichen kommunalen Überschüsse von 20 Euro je Einwohner erfüllen diese Anforderungen nicht, da sie von einem Defizit nicht weit genug entfernt sind. Bereits ein zusätzlicher jährlicher Anstieg der Sozialausgaben um einen halben Prozentpunkt würde die Kommunen ins Defizit drücken.
- Mit Sorge betrachtet der Deutsche Städtetag die Lage der strukturschwachen Städte. Die zunehmenden Disparitäten zwischen den Kommunen werden im bundesweiten Finanzierungssaldo nicht sichtbar, weil dieser nur den Gesamtwert für alle Kommunen wieder-gibt. Die Investitionen finanzschwächerer Kommunen sind ohnehin im bundesweiten Vergleich niedrig. In den kommenden Jahren werden diese Städte voraussichtlich noch weniger investieren können, weil Haushaltskonsolidierung für sie Vorrang hat. Trotzdem werden sie häufig einen Haushalt ohne Defizite nicht aus eigener Kraft erreichen können.
- Die Investitionen in den Kommunalhaushalten sind zu gering, um den Investitionsstau abbauen zu können. Nur finanzstärkere Kommunen können Einnahmezuwächse nicht nur für den Schuldenabbau, sondern auch für Erhalt und Ausbau der Infrastruktur nutzen. 2014 wird ein Anstieg der Investitionen auf 21,6 Milliarden Euro erwartet und 2015 auf 22 Milliarden Euro. Es wird bundesweit für die nächsten Jahre von niedrigen Zuwachsraten von durchschnittlich knapp 2 Prozent ausgegangen. Die Steigerungsraten der Sozialausgaben sind etwa doppelt so hoch, in absoluten Zahlen nehmen die Sozialausgaben viermal so stark zu wie die Investitionen.
- Die Ausgaben für soziale Leistungen der Kommunen steigen weiter deutlich an – in den nächsten Jahren im Durchschnitt um rund 1,9 Milliarden Euro jährlich. Die Sozialausgaben erhöhen sich 2014 gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um 3,8 Prozent. Sie wachsen von 47 auf 48,7 Milliarden Euro und 2015 auf 50,5 Milliarden Euro. Bis 2017 wird ein Anstieg auf mehr als 54 Milliarden Euro erwartet.
- Die Kassenkredite der Kommunen belaufen sich auf knapp 50 Milliarden Euro, vor zehn Jahren waren es noch 20 Milliarden Euro. Die Entschuldungshilfen für notleidende Kommunen in mehreren Ländern helfen, konnten aber noch keine Trendwende beim bundesweiten Kassenkreditvolumen bewirken.
- Die kommunalen Einnahmen werden 2014 voraussichtlich 203,8 Milliarden Euro betragen und im kommenden Jahr auf 208,5 Milliarden Euro steigen. Für 2014 wird eine Steigerung der kommunalen Steuereinnahmen um 3,7 Prozent auf 79,6 Milliarden Euro erwartet. Im Jahr 2015 erhöhen sie sich nach der Prognose um 5,0 Prozent auf 83,5 Milliarden Euro. Die kommunalen Ausgaben werden 2014 schätzungsweise bei 202,4 Milliarden Euro liegen und 2015 die Summe von 206,5 Milliarden Euro erreichen.